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Aschewolken: Eine Lektion über die Grenzen der Technik

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Erneut stürzen Aschewolken Wissenschaft, Airlines und Politiker in Verzweiflung. Anlaß für kleinkarierte Debatten über Grenzwerte. Oder einen Diskurs über die Grenzen der Technik und verbleibende Unsicherheiten.

Vor ziemlich genau einem Jahr lernte ganz Europa ein komisches Wort auf Isländisch: Eyjafjallajökull. Sogar Amerikaner und Asiaten, die die üblichen Drehkreuze in Kerneuropa nicht mehr nutzen konnten, mußten sich damit auseinandersetzen, und flogen statt dessen über Dubai oder Buenos Aires nach Hause.

Dieses Jahr ist der Vulkan kein solcher Zungenbrecher, und die großen Dramen – so scheint es zumindest – bleiben uns ebenfalls erspart. Keine Wiederholung von britischen Rettungsaktionen durch die königliche Marine, keine endlosen Feldbettenlager, keine 1,7 Milliarden USD an Kosten für Ausfälle und Entschädigungen. Soviel nämlich ungefähr kostete die Totalsperrung des europäischen Luftraums über eine Woche in 2010 die Luftfahrtgesellschaften.

Aber auch dieses Jahr gibt es reichlich öffentliche Diskussion: EU-Kommissare und Verkehrsminister beharken sich gegenseitig in der Debatte um einheitliche Grenzwerte, Fachinstitute rangeln um ihre Prognosen und eine einzelne Piloten-Personalie schafft es in alle Zeitungen. Ein Sturm im Wasserglas, könnte man zwei Wochen nach den ersten Meldungen meinen. Ein Problem, das buchstäblich vom Wind verweht wurde. Trotzdem lohnt es sich vielleicht, darüber noch einmal nachzudenken.

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Meteorologische Modelle sind ziemlich unzuverlässig – das weiß jeder, der einmal im Glauben an Wettervorhersagen eine Grillparty plante, die dann ins Wasser viel. Meteorologische Modelle sind aber auch ziemlich kompliziert. Da werden Karten und Gitter verwendet, verschiedene „Druckflächen” (Luftdruck, nämlich) in verschiedenen Schichten (Höhen) interpoliert, Bodeneigenschaften und Sonnenstrahlung werden berücksichtigt, dies alles in verschiedenen Teilmodellen, die alle errechnet werden. Die dabei anfallende Datenmenge entzieht sich meiner beschränkten Vorstellungskraft, lastet aber leicht einen Supercomputer aus. Das Europäische Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage (EZMW) braucht für eine 2-Wochen-Vorhersage mehrere Stunden Rechenzeit, trotz gigantischer Rechenkapazität. Es schadet nicht, sich einmal allein über Wolken Gedanken zu machen: Wolkenwasser, Wolkeneis, Graupel, Schnee, Regenwasser sowie Anzahldichte der jeweiligen Partikel. Wolkenmikrophysik, nennt man das. Alle diese Faktoren werden über Algorithmen ins Modell integriert, natürlich unter Inanspruchnahme diverser vereinfachender Annahmen und statistischer Wahrscheinlichkeiten.

Kommt Vulkanasche hinzu, wird das Leben nicht einfacher, und natürlich gibt es in Zeiten der Arbeitsteilung dafür Experten. Zum Beispiel die Volcanic Ash Advisory Centres der International Civil Aviation Organization überwachen seit 1993 den weltweiten Luftraum für dieses besondere Problem der Moderne. Traditionelle Modelle können durchaus Teile einer Aschewolke korrekt erfassen, aber eben nur Teile. Die zeitlichen und räumliche Ausbreitung von Aschepartikeln funktioniert offenbar bereits recht gut, aber die Art und Konzentration derselben ist ein Problem. Wer Aschewolke hört, stellt sich vielleicht den Inhalt eines selten geleerten Aschenbechers vor – tatsächlich können Aschepartikel aber auch ganz anders sein, und auch schmelzen. Was wiederum Flugzeugtriebwerken nicht gut bekommt. Weiterhin brauchen Prognosen zuverlässige Daten über die ausgebrachte Menge in verschiedenen Höhenschichten, um deren Ausbreitung vorherzusagen – was ich mir unter den konkreten Bedingungen beim Ausbruch auch nicht einfach vorstelle (Satellitenbilder?)

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Das verantwortliche VAAC in England hat dieser Tage laufend die Ausdehnung und Entwicklung der Aschewolke des Grimsvötn prognostiziert, eine abschließende Beurteilung zur Luftfahrt kann sie hingegen nicht abgeben – das bleibt eine politische und wirtschaftliche Entscheidung.

Die Präferenzen zweier Parteien sind dabei völlig klar: Die Airlines möchten möglichst ungestört weiter fliegen, müssen sie doch zuallererst die Kosten tragen. Die Politiker möchten möglichst wiedergewählt werden und niemanden vergrämen. Die Passagiere wollen einerseits weiterfliegen und ihrem Geschäft (oder Urlaub) ungestört nachgehen, aber auch nicht sterben. Leider ist es mit Entscheidungen unter Unsicherheit so eine Sache: sie sind nun einmal per Definition unsicher. Übergroße Vorsicht ist schlecht (für die Wirtschaft). Übergroße Risikofreude auch (für alle, im Schadensfall).

Die Unsicherheit der Modelle ist dabei ein schmerzhafter Stein im Schuh und die verschiedenen möglichen Schlußfolgerungen noch viel mehr. Nun streiten wir also länderübergreifend über 2 Milligramm Asche pro Kubikmeter Luft. Mit der Beschaffenheit der Flugzeuge kann das wenig zu tun haben, also hängt es vermutlich von der Risikofreude der Politiker, Bürger und Airlines ab, ob ein bestimmter Grenzwert als zu gefährlich eingestuft wird. Die gesellschaftliche Debatte hierzu scheint reichlich schnell zum Erliegen gekommen sein, in der Zwischenzeit streiten sich Airlines und Politik/Behörden umso lebhafter. Dabei sollten sie vielleicht die Ergebnisse einer Studie im Nachgang zum Eyjafjallajökull-Ausbruch berücksichtigen.

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Wissenschaftler der Universitäten von Island und Kopenhagen stellten fest, daß die Aschepartikel im letzten Jahr anfangs weich und relativ harmlos waren, später jedoch aufgrund der verschiedenen Stadien des Vulkanausbruchs ausgesprochen hart und scharfkantig waren. So scharfkantig, daß sie auch von Wasser nicht glattgewaschen wurden, so scharfkantig, daß Flugzeugscheiben getrübt und Turbinen beschädigt worden wären. Solche Informationen sind im Eifer des Gefechts und der begrenzten Möglichkeiten (Spezialflugzeuge, LIDAR-Laserstrahlentechnik zur Messung) nicht immer gleich zur Hand, aber im Nachhinein, so das Fazit der Wissenschaftler, eine Bestätigung für die damalige Politik.

Am Ende bleibt die Erkenntnis, daß wir unsere Leben andauernd in die Hände von Spezialisten mit ihren Modellen legen und die verbleibenden Risiken gerne ignorieren. Während wir selbst oft schon überfordert sind mit der Entscheidung, Kinder alleine (Gefahr!) auf die Straße zu schicken, oder für die Grillparty einen Termin auszuwählen (oder doch lieber im Haus zu feiern?) erhoffen wir uns von den Spezialisten eine gültige Wahrheit. Das gilt für die Risiken moderner Technik, moderner Transportmittel, moderner Medizin – und immer muß diese Hoffnung bei vernünftiger Betrachtung enttäuscht werden.

Sichere Wahrheiten wird es in manchen Fragen nicht geben. Modelle sind mit Unsicherheit behaftet und klüger wäre es, mit dieser Unsicherheit vernünftig umzugehen – und darüber zu reden. Wenig zielführend ist es hingegen, die Spezialisten zu beschimpfen und die Schuld auf deren Schultern zu laden. Die Frage nach der Verantwortung für Restrisiken trägt eine Gesellschaft immer als Ganzes, alle schultern am Ende die Folgen. So wäre es weit sinnvoller, die Grenzen der modernen Technik und die verschiedenen Risikopräferenzen offenzulegen. Von Firmen, von Passagieren, von Politikern. Dann kann am Ende immerhin niemand behaupten, er habe von nichts gewußt und die Schuld für seine Position anderen zuschieben.

 

von sophia.infinitesimalia erschienen in Deus ex Machina ein Blog von FAZ.NET.


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